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Mama

Unsichtbar. Lautlos. Die Luft, die wir zum Leben brauchen ist unscheinbar. Beiwerk eines jeden Schrittes, den wir gehen. Gedankenlos immer da. Selbstverständlich und automatisch. Jede Minute saugen sich die Lungen bis zu achtzehn Mal voll mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff. Doch, wie muss es sein mit der Angst zu leben, zu ersticken, wenn die Lunge nicht mehr fähig ist zu arbeiten? Jeden Tag in den gleichen vier Wänden aufzuwachen mit der bedrückenden Not einen Tag nicht mehr aufzuwachen. Immer die Gedanken voller Angst. Sie scheint einen zu verfolgen. Sie lässt nicht los. „Ich wär so gerne tot.“ Ein Zitat meiner Mutter einige Monate bevor sie starb. Zuvor ein Kampf. Zehn Jahre Krankheit. Immer wieder gab es neue Schreckensnachrichten. Lungenkrebs, Tuberkulose, ein Loch in der Lunge, einen Stent am Herz, einen Tumor an der Speiseröhre und eine Lungenentzündung. Und was bleibt am Ende? Nichts. Nur eine tränenschwere Leere, wenn da nicht die Erinnerung wäre.
Ganz besonders war für meine Mutter ihre Nachdenklichkeit in den letzten Jahren. Oft knibbelte sie an ihrer Lippe und saß ganz in sich versunken auf ihrer Bettkante. Was sie wohl gedacht haben muss? Was hat sie beschäftigt? Typisch. Das Gluckern des Sauerstoffgerätes, das ihr doch etwas Sicherheit geben konnte in den kleinen alltäglichen Dingen des Lebens. Ihre Nähe und Wärme. Spuren die sie hinterlassen hat im Alltag. Das letzte Portrait meiner Mutter. Eine Erinnerung an zehn sehr intensive Jahre. Gemeinsam bis zum letzten Atemzug.

2007